Das blinde Huhn – oder: Warum Verlage für die Digitalisierung ihre Kunden kennen sollten

Immer noch kennen sehr viele Verlage ihre Kunden nicht. Beim Umstieg auf digitale Medien ist das tödlich. Viele Printwerke zeigen durch die Digitalisierung, wie wenig (Mehr)Wert in ihnen steckt. Um das zu ändern, müssen Verlage wirkliche Mehrwerte für ihre Kunden schaffen.

Wenn man das Loseblattwerk als einen sich ständig aktualisierenden Wissensraum begreift – warum ist dann der Weg vom Papier in die digitale Welt für viele Verlage so schwer?
Es gibt eine ganze Palette von Gründen, warum Verlage und ihre Autoren auf Loseblattwerke setzen. Die Aktualität der Information ist (nur) einer davon. Eine weiterer ist auch das genaue Gegenteil: Autoren, die wenig Zeit haben, schätzen die Möglichkeit, zumindest in Teilbereichen ihr Werk gelegentlich auf aktuellen Stand bringen zu können; Der Rest des Werkes veraltet. Und natürlich ist Loseblatt gerade wegen des kontinuierlichen Umsatzes und der hohen Kundenbindung beliebt. Der Inhalt kommt dann gelegentlich zu kurz.
Dort, wo die Aktualität einen wesentlichen Verkaufsfaktor ausmacht, wird genau der von Ihnen angedeutete Aspekt auch funktionieren und tut es teilweise schon jetzt. In vielen anderen Fällen besteht eine Grundangst der Anbieter, dass jede Veränderung einen Kundenschwund katalysiert.

 

Wo stehen nach Ihrer Einschätzung die Kunden? Warum sortieren immer noch so viele Ergänzungslieferungen ein, statt auf die Digitalausgabe zu nutzen?
Die Gründe sind je nach Fachbereich vielfältig. Einer ist sicher die Grundskepsis bestimmter Berufs- und Altersgruppen gegenüber den neuen Medien. Einige Prüfungsordnungen helfen da noch kräftig mit. Ein weiterer Grund sind die häufig in der digitalen Welt verwendeten Mietmodelle. Die Kosten sind etwa dieselben, am Vertragsende bleibt aber nichts mehr übrig.
Ein durchaus realer Faktor ist auch, dass die ganze Abwicklung unter dem Radar der Entscheidungsträger läuft und sich kostenseitig unter der Schmerzensgrenze bewegt. Es gibt zudem eine gewisse Sicherheit, dass im Regal ein Werk steht, das – sollte man es irgendwann einmal benötigen – auf aktuellem Stand ist. In einigen Fällen geschieht die Pflege sogar zur Vermeidung von Haftungsfällen. Ob die Werke wirklich benutzt werden, ist manchmal fraglich. Ich sage mal provokant: Würden die LBWs regelmäßig von Entscheidungsträgern oder in deren Umgebung benötigt werden, würden diese vielleicht auch auf digitale Formen umsteigen.

 

Ist das auch der Grund, warum noch so viele Verlage von Print leben? Ein paar App-Verkäufe sind ja ganz nett – aber die Rendite kommt aus bedrucktem Papier. Haben die Digitalausgaben kein funktionierendes Geschäftsmodell?
Ich teile in der Tat die Furcht einiger Verleger, dass die bestehenden Kunden eine gewisse Treue zu einem Werk in genau dieser Darreichungsform haben. Dazu gehört auch das Gefühl der Sicherheit, das ein paar beeindruckende Ordner im Regal ihrem Besitzer geben. Ein digitales Medium schafft das in konservativen Nutzerkreisen jedenfalls noch nicht. In diesen Kreisen tut man sich dann eben auch schwer, für die digitale Information dasselbe Geld zu bezahlen.
Das eigentliche Problem für die Umsätze mag aber sein, dass die Werke in der Digitalen Welt die Erwartungen der Benutzer nicht mehr erfüllen. Die Originalität des Werkes liegt oft nur genau im Medium selbst. Teilweise wird ganz offensichtlich, dass die gedruckten Werke mit Information gefüllt sind, die im digitalen Wettbewerb nahezu trivial sind. Der digitale Nutzer erwartet für sein Geld selbstverständlich mehr, als er im Web aus durchaus seriösen Quellen kostenlos beziehen kann. Ich denke mal nur an all die LBWs, die ihre Nachlieferungen zum Großteil nur mit gemeinfreier Information füllen.

 

Können wir die aktuelle Situation einfach als Übergangsphase begreifen, in der verschiedene Kundengruppen verschiedene Herangehensweisen notwendig erfordern?
Es kann nicht nur darum gehen, dieselbe Information in einem neuen Medium anzubieten. Verlage und Autoren müssen sich in der digitalen Welt neu erfinden. Diese Feststellung ist natürlich nicht neu. Gefruchtet hat sie bisher aber nur zum Teil. Natürlich benötigen wir in Zukunft weiterhin Informationen und Meinungen von Experten. Diese sollten auch möglichst aktuell. Und da ein hoch dekorierter Fachmann für seinen Input auch eine Gegenleistung haben möchte und der redaktionelle Aufwand beträchtlich ist, wird das alles nicht kostenlos zu haben sein. Ganz im Gegenteil: Durch den Wegfall einiger „Low hanging Fruits“ wird der „Stückpreis“ der wirklich exklusiven Information womöglich sogar ansteigen. So gesehen sind wir in einer Übergangsphase. Aber einfach nur warten bringt sicher keine Lösung.

 

Positiv gefragt: Wo liegen die Chancen in einer „Mobilisierung“ der LBW-Welt?
Die Mobilisierung im engeren Sinne bringt nur dort Chancen, wo die Information mobil benötigt wird. Das herauszubekommen ist Aufgabe der Informationsanbieter. Die Verlage und Autoren werden sich hier ihren Kunden etwas mehr nähern müssen. Die Chance sogenannter mobiler Endgeräte liegt aber auch einfach nur darin, dass ihre Haptik einige Vorteile gegenüber den bisherigen digitalen Endgeräten und dem analogen Print bietet. Die Geräte sind im Büro und selbst zuhause angenehmer zu benutzen als etwa Notebooks und sicher leichter als die meisten LBW-Ordner. Die Lesbarkeit ist teilweise besser als beim Papier. Beim Nachsortieren, Blättern und Suchen punktet eine gute App ebenfalls deutlich gegenüber dem störrischen Ordner. Tabletts sind robuster als Notebooks und meist einfacher zu nutzen. Sie bieten in vielen Situationen nicht die Kommunikationsbarrieren, die ein „echter“ Computer darstellt. Rational betrachtet ist das Tablet dem Computer und dem LBW-Ordner also überlegen, fehlt also nur noch ein plausibles Geschäftsmodell.

2023-05-11T16:10:24+02:00
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