‚Die jungen Zielgruppen sind überhaupt nur noch über das Internet erreichbar‘

Der Nutzungswandel war täglich spürbar. Die Reichweite von sueddeutsche.de hat sich in diesen fünf Jahren verzehnfacht, der Umsatz ist sogar noch deutlicher gewachsen. Das war unglaublich motivierend, obwohl ständig neue Herausforderungen wie Suchmaschinenoptimierung, der Aufbau einer Leser-Community oder die Einbindung Sozialer Netzwerke hinzu kamen.
Selbstverständlich gab es im Süddeutschen Verlag die gleichen angeregten Diskussionen zwischen Print und Online wie überall. Letztlich belegen die Zahlen die Richtigkeit der strategischen Entscheidungen. Gleichzeitig sieht man sehr gut, dass die Internetaktivitäten die Print-Produkte nicht schwächen müssen. Im Gegenteil, Verlage müssen darauf reagieren, dass die jungen Zielgruppen für sie überhaupt nur noch über das Internet erreichbar sind.


Welche Rolle spielen Internetauftritt und Social-Media-Aktivitäten eines Verlages in der Gegenwart?

Beides ist ein Muss geworden. Die Nutzerreichweite der meisten Verlagswebseiten bzw. -portale hat ein Niveau erreicht, das selbst die gedruckten Produkte in deren Hochphase nicht annähernd schaffen konnten. Gute und ausgewogene Web-Präsenzen können die Marke heutzutage enorm stärken.
Man muss sich nur die täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Nutzerzahlen der entsprechenden sozialen Netzwerke ansehen, um deren Relevanz zu erkennen. Social Media ist sowohl als Vertriebs- als auch Reichweiten-Kanal wunderbar einsetzbar. Um dabei erfolgreich zu sein, muss man die Social-Media-Klaviatur natürlich beherrschen.
Ich sehe an meinen Studenten, wie fokussiert diese auf den Nachrichtenstrom in Facebook sind. Sie haben dabei ganz konkrete Erwartungen an Aktualität, Tonalität und Originalität. Ein emotionsloser, unreflektierter Nachrichtenstrom genügt ihnen nicht. Diese Konstellation missachten die meisten Verlage.

Inwieweit glauben Sie, sind deutsche Verlage und ihre Mitarbeiter für das digitale Zeitalter vorbereitet und mit den neuen Arbeitsabläufen vertraut?
Dies unterscheidet sich je nach Verlag sehr stark. Zwar haben die großen Zeitungsverlage inzwischen erkannt, dass für bestimmte Disziplinen wie zum Beispiel Social Media oder Suchmaschinenoptimierung bzw. -marketing,entsprechende Experten benötigen werden, um wirklich erfolgreich zu sein. Die Kompetenzen müssen jedoch klar geregelt sein.
Je kleiner die Verlage sind bzw. je zugespitzter ihr Fachgebiet ist, desto eher versucht man aus vorhandenen Personen Generalisten zu machen. Diese versuchen neben dem Tagesgeschäft noch Online-Kampagnen oder Auftritte in sozialen Netzwerken zu steuern. Dabei verdrängen die Verantwortlichen zu gerne, wie komplex diese Aufgaben sowie die dazu nötigen Werkzeuge und rechtlichen Vorgaben geworden sind.
Insgesamt würde ich sagen, dass mehr als 80% der Verlage ihre digitale Strategie und vor allem die dahinter liegende Organisationsstruktur endlich erfolgsorientiert optimieren sollten. Als Beispiel sei hier das Online-Produktmanagement erwähnt – mit allen wichtigen Kompetenzen ausgestattet ist es kaum in einem Verlag.


Bisher ist die Netzgemeinde weitgehend der Überzeugung, dass Zeitungsinhalte kostenlos angeboten werden sollten. Auch große deutsche Tageszeitungen finanzieren ihre Netzberichterstattung bisher über die Schaltung von Werbeanzeigen. Hat Paid-Content als Erlösmodell demgegenüber eine Chance?

Ja, grundsätzlich haben Paid-Content-Modelle meines Erachtens eine Chance. Ansonsten würden Leserzahlen und Umsatz-Entwicklung für gedruckte Inhalte sehr viel steiler nach unten zeigen, als es bisher der Fall ist.
Der Leser ist bereit, für sehr gute und spezielle Inhalte bzw. Formate zu bezahlen. Dies ist ein über Generationen gelerntes Modell. Die Erfolge der New York Times als Vertreter der Nachrichtensparte als auch des High Text Verlages aus München zeigen, dass es funktionieren kann.
Mir persönlich fehlt bei den meisten Paid-Content-Modellen jedoch noch der ausschlaggebende Mehrwert, um den Geldbeutel zu zücken. Der Großteil der Leser wird nicht für die normalen Schlagzeilen bezahlen, die er bei einer anderen Webseite oder im Fernsehen kostenfrei erhält. Darüber hinaus gibt es kaum Anreizsysteme, diesen angebotenen Inhalt – auch langfristig – zu prüfen. Das obligatorische „ein Monat kostenfrei“ ist da zu einfallslos. Da gibt es weit erfolgreichere Modelle zur Kundenbindung, die man sich aus dem rapide wachsenden Markt für Apps abschauen kann.
Letztlich benötigt jedes Produkt eine einfühlsame Preisfindung. Wenn ich sehe, wie viele E-Paper-Abos nahe am Preis für das Print-Abo liegen, muss ich mich doch wundern. Aus Verlagssicht und der ständigen Kannibalisierungsangst ist das verständlich. Als Leser fühle ich mich jedoch meist auf den Arm genommen. Der Distributionsweg Online erzeugt weniger Kosten als der klassische Weg und ist wahrscheinlich sogar noch umweltschonender. Jeder Verlag muss entscheiden, welche Strategie sinnvoll ist. Gleichzeitig scheint die Vermarktung über Werbeanzeigen ja sehr lukrativ und effizient zu sein. Unter Umständen muss man daran gar nichts ändern, wenn der Verlag gut damit fährt.

2023-05-11T14:29:09+02:00
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